2. Was Gottes Uhr zum ticken bringt

Einmal schaltete Gott seine Uhr ab. Es geschah, als Abrahams Glaube am Tiefpunkt angelangt war, der Glaube eines Mannes, der später der Vater aller Gläubigen genannt wurde. Dennoch: In 1. Mose 16, Vers 16 wird der 86jährige Abraham so erwähnt: „Und Abram war 86 Jahre alt, als Hagar dem Abram Ismael gebar." Dies war die letzte Erwähnung der Geschichte, bevor Gottes Uhr für Abrahams Leben stehen blieb. Vierzehn Jahre vergingen und nichts geschah. Erst als Abrahams Glaube an den verheißenen Sohn – nicht durch Hagar, sondern durch Sara – erneut lebendig wurde, schaltete Gott seine Uhr wieder ein. Mittlerweile war Abraham neunundneunzig. So lautet der nächste Satz der Bibel: „Und Abram war 99 Jahre alt, da erschien der HERR dem Abram ..." Abraham wurde älter, doch nur auf seinem eigenen, menschlichen Kalender! Für Gott blieb die Zeit stehen. Dann sagte Gott: „Lebe vor meinem Angesicht untadelig!" Er beabsichtigte, Abrahams Lebensuhr endlich wieder weiterlaufen zu lassen, denn seine Berufung hatte sich nicht geändert. Alles hing von der Entscheidung dieses Mannes ab. Würde er dieses Mal die richtige Wahl treffen? Es ist interessant, die Geschichte weiter zu verfolgen. In diesem Teil lernen wir, was Gottes Uhr wieder zum Ticken bringt und wie wir verlorene Zeit wieder aufholen können.

„Meine Zeit steht in deinen Händen." (Ps 31,16; Lut.)

 

Geistliches und natürliches Alter

Ein Mensch, der Christus als seinen persönlichen Erlöser übergeht, bleibt geistlich gesprochen tot, weil er noch keine Verbindung zu der Person hat, die gesagt hat: „Ich bin das Leben." (Joh 14,6). Unter chronologischem Gesichtspunkt wurde bei einer solchen Person die geistliche Uhr noch niemals eingeschaltet. Erst wenn sie durch den Glauben an Christus von „neuem geboren wird", beginnt ihr geistlicher Wachstums-Prozess. In diesem Sinne müssen selbst ausgewachsene Männer und Frauen noch das Laufen lernen. Findet ein erwachsener Mensch zum Glauben, mag sein natürliches Alter 10, 30 oder 50 Jahre betragen, doch sein geistliches Alter gleicht dem eines Neugeborenen. Deshalb schrieb Petrus einmal: „seid als neugeborene Kindlein begierig nach der vernünftigen, unverfälschten Milch". Milch ist hier die einfache Lehre, dass Gott „freundlich" ist (1Petr 2,2). Petrus schrieb seinen Brief an erwachsene Menschen und nannte sie „neugeborene Kindlein". Das natürliche Alter sagt also nichts über das geistliche Alter aus. Das geistliche Alter des jungen Timotheus reichte bereits aus, um als Leiter in seiner Gemeinde eingesetzt zu werden. Paulus ermutigte ihn mit den Worten: „Niemand verachte deine Jugend." (1Tim 4,12) David war zum Beispiel noch ein junger Mann, als er Psalm 119 schrieb. Dennoch konnte er sagen: „Verständiger bin ich als alle meine Lehrer. Denn deine Zeugnisse sind mein Überlegen." (Ps 119,99) Joseph war ein drittes Beispiel für einen Mann, der weit über sein natürliches Alter hinaus wuchs. Im Alter von nur 30 Jahren wurde er von Pharao für den weisesten Mann der Welt gehalten. Wahrscheinlich lag der Grund für sein schnelles Wachstum darin, dass Gottes Uhr über Josephs Leben niemals stehen blieb. Die Bibel erwähnt keine Zeitspanne darüber, dass er außerhalb des Willens Gottes lebte. Man kann darüber spekulieren, ob es weise war, dass er seine Träume seinen Brüdern erzählte, die deren Inhalt zwar nicht verstanden, ihn aber dennoch dafür beneideten. Doch ob Joseph durch eine prahlerische Art und Weise hierzu Anlass gab, lässt der biblische Bericht offen. So ist anzunehmen, dass Josephs Uhr weitgehend konstant lief und er mit 30 Jahren dort stehen konnte, wo andere niemals in ihrem Leben hinkommen. Immer wieder brachte das jüdische Volk Menschen hervor, z. B. Richter und Propheten, die das Volk zur Umkehr bewegten und Erweckungen begleiteten. So wie Abraham aus seinem Ismael-Fehler lernte und vor Gott lebte, so erlebte es auch das jüdische Volk. Unsere Fehler mögen die zeitliche Erfüllung unser Berufung zwar hinausschieben, aber nicht aufheben. Es hängt ganz davon ab, wann Gottes Uhr wieder zu ticken beginnt. „Denn unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt." (Röm 11,29) Schauen wir uns das Beispiel Abrahams einmal näher an.

Abrahams Fehltritt

Wir kommen zum ersten Höhepunkt in der Geschichte des jüdischen Volkes und beschreiben damit den Lebensabschnitt zwischen Berufung und Befreiung. Hier wird der erste Prozess illustriert, den man als Christ durchläuft, sobald man damit begonnen hat, in die Berufung hineinzuwachsen. Hierbei orientieren wir uns an der geistlichen Entwicklung Abrahams, denn „entscheidend ist, dass wir denselben Glauben haben, wie ihn unser Vater Abraham schon vor seiner Beschneidung hatte." (Röm 4,12; HfA). Abraham wird uns überall in der Bibel als ein Mann des Glaubens vorgestellt. Als ein solcher fiel aber auch er nicht vom Himmel, das vergessen wir oft. Abraham musste genau so lernen, wie wir auch, in eine Glaubensbeziehung einzutreten. Er tat dies, während er auf einen Sohn wartete, den Gott ihm versprochen hatte. Dabei wurde er allerdings einmal ungeduldig und ließ sich von seiner Frau Sara, die unfruchtbar und bereits 75 Jahre alt war, zu einem großen Fehler verleiten: Sie drängte ihn dazu, sich von seiner Magd Hagar den ersehnten Sohn gebären zu lassen. Abraham ließ sich überreden. Doch nur wenige erkennen, dass durch dieses Handeln der Zeitplan Gottes für Abrahams Leben unterbrochen wurde. Mit der Aufforderung: „Lebe vor meinem Angesicht untadelig!" (1Mo 17,1) beabsichtigte Gott, Abrahams Lebensuhr endlich wieder weiterlaufen zu lassen, denn die Berufung hatte sich nicht geändert. Alles hing von der Entscheidung dieses Mannes ab. Würde er dieses Mal die richtige Wahl treffen? Wir lesen in Vers 3: „Da fiel Abram auf sein Gesicht ...„ (1Mo 17, 3). Es ist interessant, die Geschichte weiter zu verfolgen. Der Plan Gottes wurde fortgesetzt und Abraham erhielt seine verheißenen Nachkommen. Doch der Exodus im Sklavenland Ägypten verzögerte sich um exakt jene Zeit der 15 Sündenjahre Abrahams. Dies ist im nachfolgenden Diagramm dargestellt.

Wir können der Tabelle entnehmen, dass die Epoche zwischen Abrahams Geburt und dem Exodus 505 Jahre beträgt (75 Jahre + 430 Jahre). Die Zeitspanne von 430 Jahren wird in Galater 3,17 erwähnt, wo gesagt wird, dass das "430 Jahre später entstandene Gesetz" unter Mose den Bund mit Abraham keineswegs aufhob. Die Berufung Abrahams ist eine bleibende, weil sie Christus hervorgebracht hat, der ewig bleibt. Abraham war 85 Jahre alt, als er Ismael zeugte; Isaak dagegen wurde im Alter von 100 Jahren geboren. Die Sünde begann mit der Zeugung Ismaels, die Fortsetzung des Segens erst mit der Geburt Isaaks. Fünfzehn lange Jahre trennten diese beiden Ereignisse voneinander! Es waren wohl die fünfzehn tragischsten Jahre im Leben Abrahams überhaupt – fünfzehn verlorene Jahre, wie aus der Chronologie ersichtlich ist.

 

Auf den ersten Blick mag man die verlorenen Jahre gar nicht als solche erkennen. Doch auch aus Galater 4 geht hervor, dass Abraham in den erwähnten Jahren sicher nicht im Willen Gottes, sonderm im "Fleich" lebte. Paulus schreibt im Galaterbrief: „Denn es steht geschrieben, dass Abraham zwei Söhne hatte, einen von der Magd [Ismael] und einen von der Freien [Isaak]; aber der von der Magd war nach dem Fleisch geboren ...„ (Gal 4,22-23). Im Alter von 99 Jahren hörte Abraham zwar Gottes Stimme, doch er hielt immer noch an seiner eigenmächtigen Tat, dem Vertrauen auf Ismael, fest. Über das von Gott angekündigte Wunder, das er an Sara vollbringen wollte, „lachte er und sprach in seinem Herzen: Sollte einem Hundertjährigen ein Kind geboren werden, und sollte Sara, eine Neunzigjährige, etwa gebären? Und Abraham sagte zu Gott: Möchte doch Ismael vor dir leben.„ (1Mo 17,17-18) Das Wunder der übernatürlichen Geburt war für Abraham noch etwas Ungewisses. Ismael dagegen konnte er anfassen. Da wusste er, was er hatte. Immer noch setzte Abraham auf seine eigene Lösung. Deshalb wurde Gott sehr deutlich: "Nein, sondern Sara, deine Frau, wird dir einen Sohn gebären." (1Mo 17,19) Hier erkennen wir eine ganz andere Seite des so oft zitierten Glaubenshelden. Sicher bewies er in der nachfolgenden Zeit seinen unerschütterlichen Glauben. Alle kennen die Geschichte, wie er den Sohn der Verheißung, Isaak, erhielt, der zu einer Nation wurde, die Gottes Befreiung, Güte, Schutz und Wiederherstellung erlebte. Doch zuvor hatte Abraham noch eine Lektion zu lernen: Gott sagt „Nein" dazu, dass dieser Segen mit eigener Kraft erzwungen werden sollte, obwohl dies mit den besten Absichten geschah.

 

Abraham, der Eiferer

Das eigentliche Fehlverhalten Abrahams bestand in seinem Eifer. Wenn ein unreifer Mensch mit einem wirklich göttlichen Traum erfüllt ist, besteht die Gefahr, die Erfüllung dieses Traumes mit eigenem Ehrgeiz voranzutreiben. Doch dieser Ehrgeiz ist äußerst betrügerisch. Er kann äußerlich genau so aussehen wie Gehorsam. Wenn man aber den Herrn nicht genau kennt, besteht die Gefahr, nicht der Stimme des Herrn, sondern der eigenen Leidenschaft zu folgen. Unsere Vision mag tatsächlich vom Herrn kommen, aber unsere Motivation aus unseren eigenen Trieben heraus geboren sein. Deshalb betete David einmal: „Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz. Prüfe mich und erkenne meine Gedanken." (Ps 139,23) Da gab es eine ganze Gruppe, die für ihren menschlichen Eifer bekannt war. Es waren die so genannten Zeloten. Sie wurden im ersten Jahrhundert nach einer Revolte gegen die Römer gegründet. Zum großen Teil kamen sie aus den Pharisäerkreisen und riefen zum Widerstand gegen Rom aus. Für sie war der Titel „Zelot" also ein Ehrentitel. Selten ist in einer Gruppe die Leidenschaft für ein programmatisches Ziel so stark ausgeprägt, wie im Fall des religiösen Eifers unter Gläubigen. Deshalb müssen wir genau verstehen, wie dieser Feind des wahren Glaubens aussieht und warum Abrahams Uhr stehen blieb. Für den betrügerischen Ehrgeiz wird im Griechischen das Wort „zelos" verwendet. Wir finden es zum Beispiel in Römer 10,2, wo Paulus über seine Generation zu dem Urteil kommt: „Denn ich gebe ihnen das Zeugnis, dass sie eifern [zelos] um Gott, aber mit Unverstand." Paulus fällte hier kein leichtfertiges Urteil. Er wusste, wovon er sprach, denn er selbst war einer von ihnen gewesen: „dem Eifer [zelos] nach ein Verfolger der Gemeinde ..." (Phil 3,6) Sogar unter den Jüngern Jesu gab es einen Zeloten, Simon (Lk 6,15), wie auch in der ersten Gemeinde „Eiferer für das Gesetz" Apg 21,20). Dies hatte jedoch fatale Konsequenzen, denn genau dieser Eifer wird als Ursache für Streit, Zerrüttung und jede schlechte Tat genannt: „Denn wo Eifer(sucht) [zelos] und Eigennutz ist, da ist Zerrüttung und jede schlechte Tat." (Jak 3,16) Zu dieser Zerrüttung zählen Streitigkeiten, Scheidungen, Gemeindespaltungen, Parteiungen – einfach Zerrüttungen jeder Art von Beziehungen. Der geistlich unreife Christ erkennt dabei seinen kindischen Stand nicht. Daher wird er ungeduldig, ängstlich und fordernd. Man kann sich vorstellen, dass innerhalb einer christlichen Gemeinschaft diese Menschen einer geduldigen Führung und Leitung bedürfen. Immer ist es der Stolz, der den Ehrgeizigen blendet; dieser denkt, dass er größeren Herausforderungen gewachsen ist, als er es wirklich ist. In Wahrheit ist er nichts weiter als eine schwierige Hausaufgabe für diejenigen, die mit ihm arbeiten müssen. Wie ein Keim, der immer neue Fäulnis zu Tage bringt, ist er ein ständiger Streiterreger. Die ehrgeizigen Machthaber im AT kannten schon damals ständige Kriege und Unruhen in ihrem Reich. Doch die Kriege der Ehrgeizigen sind auch heute noch genau so heftig und zermürbend, nur, dass sie mit anderen Waffen ausgetragen werden.

 

Aufgrund ihres Stolzes können die Ehrgeizigen sich selbst nicht als Ursache der Erschütterungen ansehen. Vielmehr zitieren sie fleißig Hebräer 12,27, wo es heißt, dass Erschütterungen kommen müssen. Und dann übersehen sie auch noch, dass auch Sünde Leid verursacht. So versucht der Ehrgeizige ständig, das aus dem Wege zu räumen, was zwischen seinem Traum und der Erfüllung steht. Dabei ist es der Ehrgeiz selbst, der abgetötet werden muss. Erst danach wird die Abhängigkeit vom Herrn zunehmen, so wie Johannes erklärte: „Ich muss abnehmen, er (Jesus) aber zunehmen." Auf die Gemeinde bezogen glauben wir mit diesem Wachstumsstand doch tatsächlich, Gott könne froh sein, dass sich ein Mensch, der viele Gaben besitzt, zu ihm bekehrt. Endlich mal jemand, der die Kirche gut verkaufen wird, denken wir. Auf dieser Ebene kämpfen wir dafür, einen Unterschied zu machen. Wir suchen den Durchbruch, das Heldenhafte. Gott aber scheint ganz anders zu denken, wenn er anordnet, dass vor dem Durchbruch in der Regel die Erfahrung des Zerbruchs kommt.

 

Der benötigte Exodus der Gemeinde

Das ist der Grund, warum die Kirche so dringend einen Exodus benötigt, einen Exodus aus einem sinnlichen, fleischlichen Lebensstil. Denn dieser Lebensstil hat keine Zukunft. Der Name „Ismael" ist ein Synonym hierfür. Paulus zitiert hierzu 1Mo 1,20 und bezieht diese Stelle auf die fleischlich gesinnte Kirche: „Aber was sagt die Schrift? `Stoße die Magd und ihren Sohn hinaus, denn der Sohn der Magd soll nicht mit dem Sohn der Freien erben." (Gal 4,30) Die Bibel malt es uns vor Augen, dass fleischliches Christentum keine Zukunft hat. So erinnert uns Paulus an unsere Berufung. Er sagt: „Daher, Brüder, sind wir nicht Kinder einer Magd, sondern der Freien" (Gal 4,31). Leben wir im Fleisch, werden Verdammnisgefühle wach – auch wenn wir gläubig sind. Doch es ist nicht Gott, der uns verdammt, sondern unser eigener wiedergeborener Geist. Diese Verdammnis ist nichts anderes als geistlicher Schmerz! Manche Schmerzen bewahren uns vor dem Untergang. Es geht nicht so sehr darum, den Schmerz zu beseitigen, als vielmehr die Ursache der Schmerzen. Es gibt Drogen, die betäuben. Sie lösen jedoch die Probleme nicht, sondern verschlimmern sie nur noch. Doch es gibt ein Mittel, das von Verdammnisgefühlen befreit: das Blut Jesu. Fünfundvierzig Sitzungen beim Psychiater bringen das nicht fertig. Die Menschen haben für Beratung und Medizin ein halbes Vermögen ausgegeben und doch nicht das erreicht, was der Herr in einem einzigen Augenblick bewirken kann, wenn er uns unseren Exodus schenkt. Eine Verheißung von Gott zu bekommen, ist noch nicht dasselbe wie ein Gebot zum Losrennen. Bei aller anfänglicher Begeisterung über die Verheißung sind sich die meisten Christen überhaupt nicht im klaren darüber, welche Defizite sie noch hinsichtlich Treue und Dankbarkeit im Charakter und Wesen aufweisen. Diese Dinge müssen jedoch in uns entwickelt werden, bevor Gott seine Verheißungen erfüllen kann. Er selbst ist es, der den Verheißungsträger vorbereiten möchte, um mit der Verheißung richtig umzugehen. Denn was wir für Gott werden, ist Ihm viel wichtiger als das, was wir für Ihn tun. Unsere Berufung und unser Dienst ist nicht zuerst ein Ruf zum Führen, sondern zum Dienen. Wer jemals ein Segen war, war es deshalb, weil er an dieser Stelle gestorben ist. Es ist ein grandioses Geheimnis, dass jeder Fortschritt, den wir machen, erst aus einem Sterbe-Auferstehungszyklus heraus erwächst. Dies genau ist das Exodus-Erlebnis.

 

Viele christlichen Vereine, die ich kenne, streben ungeduldig danach, etwas Besonderes hervorzubringen. Wie sollten sie auch sonst ihre Existenz rechtfertigen? Und wenn keine großen Leistungen vollbracht werden und kein Programm da ist, das die Menschen anspricht, welchen Grund hätten sie dann noch, zusammen zu kommen? So steht permanent die Forderung im Raum, Programme zu schaffen, die die Menschen anziehen und halten. Folglich meinen viele Christen, ihr Wert steige mit ihren Gaben und Fähigkeiten, die sie mitbringen. Doch dieses Denken ist fatal. Wenn ich mir die zahllosen, zerbrochenen Ehen in den christlichen Gemeinden anschaue, eine Scheidungsrate, die genau so hoch ist wie bei den Menschen, die ohne Gott leben, dann behaupte ich, dass dieses programmorientierte System gescheitert ist. Wollen wir wirklich geistlich vorwärts kommen? Dann müssen wir es lernen, unsere Lebensumstände mit geistlichen Augen zu betrachten und sie als Möglichkeiten des Sterbens zu umarmen. Ich habe Menschen gesehen, die zu Unrecht unterdrückt und beschimpft wurden und dennoch beide Arme ausbreiten konnten. Alles in ihnen rief ganz ohne Vorwurf: „Kreuzige mich doch!" Nichts scheint aber entwaffnender zu sein, als seinem Aggressor in Liebe zu begegnen! Nur dann, wenn wir wissen, wie man stirbt, werden wir sehr viel Frucht bringen, erklärte Jesus: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht." (Joh 12,24) Wir mögen Opfer einer Verleumdungskampagne sein oder noch schlimmeres erfahren. Grundsätzlich haben wir immer zwei Möglichkeiten, zu reagieren: Entweder mit Bitterkeit oder Vergebung. Jemand fragte: Warum schützt mich der Herr nicht vor den Härten des Lebens? Die Antwort lautet: Er tut es. Unser Schutz ist das Kreuz. Wer nicht sein Kreuz trägt, trägt etwas anderes. Wer nicht das Kreuz trägt, erleidet einen fortwährenden Verlust an Liebe. Schließlich fließt man mit dem Strom der Masse, bei dem – wie Jesus es vorausgesagt hat – die Liebe erkalten wird.

 

Wie können wir herausfinden, was uns wirklich trägt? Blicken wir zurück in die Vergangenheit, denken an die letzten Jahre. Was ist das dominierende Gefühl, das sich einschleicht? Was bestimmt unsere Gedanken? Ist es die Dankbarkeit dafür, wie der Herr uns zur Seite stand, oder sind es jene Momente, in denen wir ungerecht behandelt wurden? Was hat sich da abgelagert in unserer Seele? Gott möchte, dass hier nichts zurückbleibt außer einem aufgeweiteten Herzen. Denn auch die Zeit der Prüfung soll zuende gehen. Und sie tut es. Einmal im Ernst gesprochen: Meinen wir, Gott gibt uns einen Traum, um uns fertig zu machen? Meinen wir wirklich, Gott sagt: Ich habe den Falschen erwischt? Nein, Gott vergreift sich nicht. Gerade weil er den Richtigen oder die Richtige gefunden hat, steckt er so viel Mühe in die Ausbildung. Er möchte nur, dass wir Seine Wege und Seine Liebe kennen lernen. Dann werden wir Seinen Pulsschlag, ja Seine Uhr wieder ticken hören.