Gemeindekultur und Organisation verstehen

Ist die Gemeinde eine Dienstleistungsorganisation?

Die Gemeinde ist nicht in erster Linie eine Organisation, sondern eher ein Organismus. Vor allem ist sie eine Familie, die "Familie Gottes" (Eph 2,19). In ihr gibt es kein Nützlichkeitsdenken. Eine christliche Organisation mag aber eine gute Ergänzung zu bestehenden Gemeinden sein, wenn sie von ihnen getragen wird. Doch was meint die Bibel, wenn sie uns ermutigt, nicht unsere Gemeinschaft zu verpassen (Heb 10,25)? Ist Mitarbeit, Besuch und finanzielle Unterstützung von Veranstaltungen ein Muss oder gar Ersatz für die einfache Gemeinschaft, zu der jeder etwas beitragen kann und sollte? Braucht nicht auch die Gemeinde erfolgreiche Programme? Wie aber würde sich die Gemeindekultur verändern, wenn eine christliche Gemeinschaft zu einer Dienstleistungsorganisation mit marktüblichem Erfolgsdenken mutiert?  Es gibt viele Fragen dieser Art, denen wir in diesem Kurs nachgehen werden.

 

 

1. Ist die Gemeinde eine Dienstleistungsorganisation?

Eine Gemeinde ist eine Familie und nicht in erste Linie eine Organisation. In ihr gibt es kein Nützlichkeitsdenken, das den Wert einer Person für eine Tätigkeit bestimmt. Das Kind ist genauso geliebt und wertgeschätzt wie die erfahrenen Leiter. Hier trägt einer die Last des Anderen, und die Leiter sind demütige Diener. Wettbewerb oder Vergleich der Charismen ist hier unerwünscht. In einer Gemeinde, die wie eine Familie funktioniert, gibt es in der Regel keinen Klerus, keine Angestellten, Gehälter oder erfolgsorientierte Jahresziele, die das Handeln bestimmen und messen lassen. – Wie ist es nun, wenn einige Gemeindeglieder zum Zweck der Evangelisation bestimmte Aktionen oder Programme ins Leben rufen möchten? Dann mögen sie dies tun, indem sie hierzu eine separate Organisation gründen und Mitarbeiter einstellen. Diese christliche Missionsorganisation sollte sogar mit den Methoden des Prozess-, Veränderungs- und Qualitätsmanagements kontinuierlich verbessert werden. Das Problem beginnt erst dann, wenn man den vielseitig interessierten Konsumenten der christlichen Programme suggeriert, diese finanziell aufwändige Dienstleistungsorganisation sei eine Gemeinde. Genau das ist sie nämlich nicht. Sie mag eine gute Ergänzung zu bestehenden Gemeinden sein, wenn sie von diesen getragen wird. Doch Mitarbeit, Besuch und finanzielle Unterstützung jener Veranstaltungen ist kein Zwang oder Ersatz für echtes Gemeindeleben. Wenn die Bibel davon spricht, dass wir unser Zusammenkommen nicht versäumen sollen, dann ist immer von Gemeinde die Rede.

 

„Deshalb ist es wichtig, unsere Zusammenkünfte nicht zu versäumen, wie es sich leider einige schon angewöhnt haben. Wir müssen uns doch gegenseitig ermutigen, und das umso mehr, je näher ihr den Tag heranrücken seht, an dem der Herr kommt.“ (Heb 10,25)

 

„So seid ihr also keine Fremden mehr, geduldete Ausländer, sondern ihr seid Mitbürger der Heiligen und gehört zur Familie Gottes.“

(Eph 2,19) – Apostel Paulus

 

Wie präsentiert sich heute die Gemeinde?

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2. Gemeindekultur verstehen und ausbalancieren

Gemeindeberater stellen fest, dass die wirklichen Unterschiede zwischen „besseren" und "schlechteren" Gemeinden in ihrer Kultur zu suchen sind und nicht in der Ausstattung der Räume, der zur Verfügung stehenden technischen Ausrüstung, der Qualifikation ihrer Mitarbeiter oder Programmangebote [1]. Dies ist auch meine Beobachtung von Gemeinden in den letzten 30 Jahren. Überall auf der Welt scheint die Kultur der bedeutsamste Faktor einer Gemeinde zu sein [2], wobei darunter nicht die Landeskultur zu verstehen ist, sondern die Gemeindekultur. Dass sich diese aber enorm verändern kann, wenn immer mehr ziel- und erfolgsorientierte Programme den Gemeindealltag bestimmen, ist eine oft übersehene Realität. Aus einer familiären Gemeinde mit einer Familienkultur kann eine leistungsorientierte Gemeinde werden mit einer Marktkultur. Genau genommen kann man zwischen vier Kulturarten unterscheiden, die ich in diesen Nuggets kurz beschreiben möchte. Das Ziel könnte sein, eine ausgewogene Kultur zu verfolgen, innerhalb derer ein gesundes Wachstum der Gemeinde möglich ist.

 

Die Marktkultur

Die primäre Charakteristik einer Marktkultur liegt darin, dass die Organisation ergebnisorientiert arbeitet. Das wichtigste dabei ist, dass die Mitglieder ihre Dienste zuverlässig ausführen. Sie sind beides, missionsorientiert und zielorientiert. Die Leiter erwarten, dass für Gott nur das Beste gegeben wird, eben exzellente Performance. Der Klebstoff, der die Mannschaft zusammenhält, ist die Betonung des Erfolges der Mission. Längerfristig muss sich dies dadurch äußern, dass Ziele nachweisbar erreicht wurden. Erfolg bedeutet, dass die Gesellschaft mit ansprechenden Programmen erreicht wurde, was durch entsprechende Teilnehmerzahlen nachgewiesen werden kann. Dies wiederum führt zu noch größerer Motivation, das nächst höhere Ziel im Folgejahr zu erreichen.

 

Die Auswirkung dieser Kultur, wenn sie eine Gemeinde völlig erfasst, ist gravierend. Die meisten Gemeinden stellen sich die Frage erst gar nicht, ob sie für die mit dem Erfolgsdenken einhergehende kulturelle Veränderung überhaupt bereit ist. Was sind denn die Folgen?

 

Das Problem ist, dass Menschen sich nur dadurch wertgeschätzt fühlen, dass sie nützlich für die christlichen Programme sind. Dann beginnen sie sich gebraucht zu fühlen und bedeutsam. Nach vielen Jahren verlassen deshalb oft gute Christen ihre Organisation, weil sie ausgebrannt und verletzt sind; sie erkennen, dass sie als billige Arbeitskräfte ausgenutzt wurden [3]. Hybels erklärte: „Wir haben einen Fehler gemacht. Wir hätten sie lehren sollen, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen.“ Doch das Ziel solcher Organisation war ja nicht die mündige Gemeinde, sondern die professionale missionarische Performance mit nachhaltiger Wirkung.

 

Es sind bereits Untersuchungen durchgeführt wurden, wie das unternehmerische Arbeitsklima und die damit einhergehende Corporate Identity die Gemeindekultur beeinflussen kann. In Übereinstimmung zu den Theorien von kulturellen Ausprägungen von Organisationen [4] wird eine Gemeinde demnach, die wie ein Dienstleistungsunternehmen geführt wird, früher oder später eine unternehmerische Marktkultur annehmen.

 

Glücklicherweise vermehren sich die Stimmen, die die Gefahr einer reinen Dienstleistungskultur sehen, wenn diese mehr und mehr das Denken und Handeln einer Gemeinde beeinflusst: Es kann nicht das Ziel sein, große Gemeinden ununterscheidbar von großen Unternehmen zu machen [5].

 

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